Für Lesefaule: Amerika macht etwas, was Deutschland nicht kann: Es guckt nicht, wo Menschen herkommen, sondern wohin sie gehen, gibt jedem die Chance, sich etwas zu erarbeiten. Hier zählt tatsächlich vor allem eins: Wille! Und das beeindruckt mich jeden Tag mehr!
“How do you go on, when in your heart, you begin to understand, there is no going back?”
Zwischenfazit nach sechs Monaten: vieles ist klarer und gleichzeitig wird vieles komplizierter. Was ich anfangs so doof, unterentwickelt, ja eigentlich unerträglich fand, interessiert mich fast nicht mehr. Wenn ich an meine Freiheit, meine Chancen, meine Perspektiven denke, meine Familie und Freunde, meine Prioritäten, dann wird mir nach sechs Monaten vor allem eins klar: Ich hänge zwischen den Welten!
Das Leben ist eine Wundertüte und wir Deutschen wollen eine akribische Inhaltsbeschreibung draufkleben, bevor wir sie kaufen. Es ist Februar und ich habe keine Ahnung, wo ich meinen Sommer verbringen soll, darf, werde. Das macht mich wahnsinnig! Dabei wird es schon irgendwie hinhauen. “Irgendwie” ist nur leider keine quantifizierbare Größe, aus der ich einen Plan ableiten kann, wie DEUTSCH! Ich liebe mein Organisationstalent, meine Fähigkeit zu planen. Aber ich versuche gerade mit aller Kraft, den Zwang abzulegen, alles planen zu müssen. Die Playlist meines Lebens kann ich nicht voreinstellen. Es wäre ja auch total langweilig, wenn ich schon jetzt wüsste, wo ich meinen 40. Geburtstag verbringe….
Freunde fürs Leben in den USA zu finden ist schwer. Natürlich weiß ich nicht, wie viele großartige und interessante Menschen ich noch kennenlernen darf, aber ich weiß sehr sicher, dass ich meine jetzigen Freunde nicht vernachlässigen will; dass man seine Zelte nicht unzählige Male ab- und wieder aufbauen kann, zumindest nicht ohne Konsequenz. Die Amerikaner legen nicht so viel Wert auf feste, zuverlässige Strukturen, wie uns das Shows wie “How I met your mother” vermitteln wollen. Ihnen geht ihr Individualismus weit über ein soziales Gefüge. Heute Boston, morgen Seattle, später Los Angeles. Was solls? Für das bisschen Freizeit, was man hat, findet man schon nette Menschen.
Ich wünsche mir einen kulturellen Einkaufsladen in dem ich mir meine eigene Kultur zusammenstellen kann. Was darf’s heute sein? Ich hätte gerne so 10 Scheiben Innovationsgeist der USA, eine Dose brasilianisches Lebensgefühl, einen kleinen Becher Deutscher Werte und eine große Portion Deutscher Effizienz. Und das ganze können Sie bitte an die Küstenstadt liefern, in der die moderne Firma mit den flexiblen, work-life-balance orientierten Arbeitszeiten steht!
Ich will nicht immer neue Menschen finden müssen, sondern tiefsinnige Gespräche in den Kneipen führen, in denen der Mann hinter der Bar weiß, was ich trinke. Ich will mit Blicken kommunizieren können, ich will ganz ich sein unter Leuten, die mich dann trotzdem noch mögen. Und gleichzeitig möchte ich bitte alle Möglichkeiten, die diese wunderbare Welt mir bietet: Die Aufstiegsmöglichkeiten, die Entrepreneur-Mentalität der Amerikaner, die Traditionen der Europäer, die Vorurteilsfreiheit dieser internationalen Schule.
Ich will frei sein und trotzdem gebunden. Und der Gedanke, nur frei zu sein und irgendwie allein macht mir Angst. Und der Gedanke, gebunden zu sein und mich wie im goldenen Gefängnis zu fühlen mit Verpflichtungen und einem ätzenden Alltagsleben, was einem die Freude am Leben nimmt, macht mir auch Angst.
Ich schreibe diese Zeilen in der Mensa der Harvard Business School. Heute hatte ich meinen ersten Kurs hier – Träume können also wahr werden und sich gleichzeitig komplett unwirklich anfühlen, eben wie als wäre man nicht mehr richtig in der alten Welt, aber auch noch nicht richtig in der neuen Welt. Dann müsste man sich ja entscheiden, wo man hingehört. Ich wähle die Option “auf die Globalisierungseffekte hoffen” und dann einen Ort finden, an dem ich “alles” haben kann…
Solltet Ihr in der Zwischenzeit Ideen zur Umsetzung meines Kulturladens haben, ich bin bereit für den Business Plan!
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