Es ist Halbzeit, nicht nur für die Deutschen Fußballer bei der WM (fünf von acht Spielen geschafft, ;-)), sondern auch für mich in vielerlei Hinsicht: Meine Semesterferien sind halb rum, mein erstes Masterjahr ist geschafft. Und irgendwie denke ich in den letzten Wochen viel nach: Wie schön und gleichzeitig anders es ist, wieder in Deutschland zu sein. Zeit, Euch teilhaben zu lassen.
“Hast Du Angst, etwas zu verpassen?”
fragte mich auf der Hochzeit in Bremen am Wochenende eine Freundin aus Berlin, als ich ihr sagte, wie sehr mir das, was ich unter “im Leben ankommen” verstehe, die Luft zum Atmen nimmt. Viele Menschen in meinem Umfeld bauen sich gerade ihre Nester: Sie ziehen zusammen, sie heiraten, sie gründen Familien. Während ich mit Sehnsucht auf manche Aspekte ihres Lebens schaue (eine tolle Wohnung, Anschluss in einem Sportverein, Regelmäßigkeit, schöne Gewohnheiten), wird mir auch meist gleichzeitig bewusst, wie sehr ich so ein Leben zu vermeiden suche.
Wie oft habe ich in Boston mit meinen Studienkollegen den unglaublichen Sonnenuntergang beobachtet und gedacht: Wie geil ist mein Leben eigentlich gerade? Wie viel Freude bereitet es mir, mit dem Fahrrad durch Cambridge zu radeln, zu diskutieren, zu lernen, zu ackern, müde zu sein, weil ich um Mitternacht aus der Bib gekommen bin und dann doch noch eine Stunde mit meinen Mitbewohnern gesprochen habe, obwohl um 06.00Uhr der Wecker ging!
Und in Deutschland schaffe ich es nicht, zumindest momentan nicht, mir diese Freude am Leben, diese Energie, so zu erhalten. Hier in Deutschland bin ich keineswegs unglücklich, ich verspüre vielmehr einen Druck, den ich in Amerika nicht habe: Den Druck, jetzt langsam auch endlich mal ankommen zu müssen. Die Erwartung, dass auch ich endlich mal wissen müsste, was ich eigentlich will. Und das Gefühl, dass ich mich oft rechtfertigen muss, warum ich so lebe, wie ich lebe.
Je mehr ich mich mit diesen Gefühlen beschäftige, desto mehr weiß ich, dass es nicht die Angst ist, etwas zu verpassen, sondern die Neugier auf die Welt, die mich antreibt. Ich suche nicht immer nach etwas Besserem, sondern nach neuen Perspektiven. Ich hatte das unglaubliche Glück, privilegiert aufzuwachsen. Mit einem Elternhaus, welches mich immer unterstützt hat, mit einer fördernden Schule, einem großartigen Ruderverein. Und aus diesem Glück resultiert meines Erachtens eine Verantwortung: Sich darum zu bemühen, die beste Version von sich selbst zu finden und mit dieser Version an die Arbeit zu gehen. Das zu erreichen, was man sich vorgenommen hat. Mit einem Pass des wirtschaftsstärksten Europäischen Landes fällt es leicht, sich zufrieden zu geben, aber ich sehe überall Arbeit: Arbeit für mein Geschlecht, damit in den nächsten zehn Jahren mehr als 1% Frauen in den Führungskräfte-Etagen sitzen. Arbeit für unsere Deutsche Gesellschaft, mehr das Gute zu sehen und dieses kontinuierliche Gemeckere abzustellen, Arbeit für uns Deutsche, weil wir nur gemeinsam Europäer werden können, wenn wir auch wollen.
Vielleicht könnt Ihr Euch noch an meinen Zwei-Welten-Post erinnern? Wahrscheinlich ist meine Halbzeit-Bilanz die logische Fortsetzung. Obwohl vieles so schön vertraut ist in Deutschland, ist auch vieles so anders, dass ich mich nicht mehr so “passend” fühle. Das berühmte “Best of both worlds” zu finden und zu leben ist wahrscheinlich dann die nächste Herausforderung 😉
Meine Halbzeit-Bilanz ist wohl emotionaler ausgefallen als Ihr es gewohnt seid, aber Per Mertesacker hat ja mit seinem Interview nach dem Algerien-Spiel quasi den emotionalen Juli ausgerufen ;-).
Danke Dir, Kristin, für diese Frage, die mir über eine Woche lang Kopfzerbrechen bereitet hat!
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